Coronavirus als Quotenmacher: Big Brother und die Apokalypse

Mit großem Medien-Tamtam wirbt Sat.1 dieser Tage für eine Spezialfolge seines Reality-Trash-TV-Formates „Big Brother“ am 17. März 2020 um 19 Uhr. Die seit Anfang Februar von der Öffentlichkeit abgeschirmten Bewohner sollen vor laufenden Kameras über die Existenz des Coronavirus und die dramatische Lage in Deutschland, Europa und der Welt aufgeklärt werden. Besonders in NRW, dem Bundesland, in dem auch der Container steht, ist von der weltweiten Pandemie schwer getroffen. Wie die Bewohner auf die Nachrichtenlage reagieren, die Moderator Jochen Schropp und „Big Brother“-Arzt Andreas Kaniewski persönlich überbringen wollen, ist noch vollkommen offen.

Dass es der Sendergruppe ProSiebenSat.1 dabei nicht nur darum geht, bei den Bewohnern eine große Wissenslücke zu schließen, geht aus der Art der Bewerbung klar hervor. Es soll Quote mit den Reaktionen gemacht und ein bereits seit Jahrzehnten totes Format wiederbelebt werden. Es ist eine Mitteilung, welche die Bewohner persönlich betrifft. Corona schürt Ängste um Ältere und chronisch Kranke, wie sie jeder von uns im familiären und sozialen Umfeld hat. Auch ein TV-Sender täte gut daran, die Menschenwürde zu wahren und die Reaktionen der unbedarften Bewohner rund um Rebecca aus Dortmund und Menowin Fröhlich nicht im Fernsehen auszustellen. Die Entscheidung der Programmverantwortlichen, die Bewohner zu informieren, mag richtig und mit den Angehörigen der Bewohner abgestimmt sein, aber die Entscheidung, daraus ein Medienspektakel zu machen ist ethisch mehr als fraglich.

In der 19 Uhr beginnenden Sendung werden die Bewohner also informiert, können Rückfragen an den Arzt und den Moderator stellen, bekommen aktuelle Video-Botschaften von ihren Angehörigen. Bisher war das Thema Corona auch für die Nachrücker im Container tabu. Doch selbst die wissen noch nichts von den massiven Einschnitten im öffentlichen Leben mitbekommen haben, die das Virus ausgelöst hat. Jegliche Information über die Außenwelt verbieten die Big Brother Spielregeln rigoros. Immerhin so lange, bis es die Quote erfordert.

Update: So war die Sendung

Alles in allem verlief die Sendung wie man es erwarten konnte. Die Aufklärung der Bewohner erfolgte aus Infektionsschutzgründen durch einer Glasscheibe hinter der Jochen Schropp und Andreas Kaniewski saßen. Der Moderator erklärte, warum er bereits in den letzten Tagen auf zu engen Kontakt und Händeschütteln verzichtet habe. Er ist vorbereitet und unaufgeregt. Dass etwas nicht stimmt, ahnen die Bewohner bereits schnell. Von der Wucht der Ereignisse werden sie trotzdem unvorbereitet getroffen.

Als Angela Merkel vom Shutdown des Öffentlichen Lebens in Deutschland spricht, wird auch dem letzten klar, dass sich außerhalb des Containers gerade eine echte Katastrophe abspielt und die zusammen geschnittenen Bilder in den Einspielfilmen kein schlechter Scherz des Senders sind. Tränen fließen, die Bewohner haben Angst um ihre Angehörigen. Als Zuschauer kann man nur erahnen, was in den Köpfen der Container-Insassen vor sich geht. Es sind apokalyptische Bilder, die der Gruppe gezeigt werden, von Menschen, die nur noch mit Atemschutzmasken auf die Straße gehen, von Pressekonferenzen, aber auch sehr nüchtern ein Erklärfilm über Nies- und Handhygiene.

Schropp sagt bereits früh, dass die Angehörigen der Bewohner gesund und sicher sind. Das ist gut. Die Sorge ist aber trotzdem da. Offene Münder, kullernde Tränen – der Schock steht allen ins Gesicht geschrieben. Ein bisschen auch denen, die erst vor einer Woche in den Container nachrückten und ebenfalls nicht mit einer so krassen Entwicklung binnen weniger Tage gerechnet haben. Altenpflegerin Michelle sorgt sich vor allem um andere. Ihre 55-Jährige Mutter hat die chronische Lungenerkrankung COPD. Die Altenpflegerin weiß außerdem, wie vulnerabel die älteste Bevölkerungsgruppe ist und sorgt sich um die Heimbewohner. Von allen Bewohnern ist das die rührendste Reaktion.

Es folgen mehrere Werbeunterbrechungen, in denen sich die Bewohner schnell wieder fangen. Irgendwann fragt einer, wie viele Tote es denn schon gäbe. Der Arzt zögert, nennt dann die Zahl 20 für Deutschland und irgendwie ist eine große Erleichterung zu spüren. Die Bewohner erfahren nicht, wie exponentiell die Zahlen weltweit ansteigen und auch das ist gut. Das Leben im Container muss weiter gehen. Das sagen übrigens auch die Angehörigen, die per Einspielfilme Grüße senden dürfen. Allen geht es gut, keiner ist erkrankt, auch wenn eine Angehörige präventiv in Quarantäne ist. Mehr oder weniger endet die Sendung damit.

Den Umständen entsprechend war die Sendung weniger pietätlos als man es aufgrund der Vermarktung hätte erwarten können. Der letzten Zweifel, dass es nur um die Quote ging, konnte allerdings nicht ausgeräumt werden.

Kein Quotenhit trotz Corona

Geradezu erstaunlich schlecht war die Einschaltquote. Es scheint geradezu, als wäre das Fernsehen derzeit so voll mit Corona-Sendungen, dass Big Brother darin vollkommen unterging. Mit lediglich 0,85 Millionen Zuschauern und einem Marktanteil von 2,6 Prozent erreichte das Sat.1 Format genau die gleiche miese Quote, die es durchschnittlich eben hat. Nicht einmal die werberelavante Zielgruppe der  14- bis 49-Jährigen interessierte sich für das inszenierte Drama. 3,9 Prozent oder 0,37 Millionen Zuschauer schalteten ein. Es mag beruhigen, dass der Plan, aus dem Drama Quote zu schlagen, misslang. Irgendwie ist es aber auch egal.